Wer war Hitler

Eintauchen in die Geschichte

In den über 70 Jahren seit Hitlers Tod haben zahllose Bücher und TV-Dokumentationen versucht, sich dem Leben des Mannes aus Braunau in Oberösterreich anzunähern und das „Phänomen“ Adolf Hitler zu erklären. So aber ist seine Biografie noch nie erzählt worden: In WER WAR HITLER kommen neben knappen Verortungen durch eine Sprecherin ausschließlich Zeitgenossen und Hitler selbst zu Wort. Ihre Aussagen aus Tagebüchern, Briefen, Reden und Autobiographien werden mit neuem, vielfach unveröffentlichtem Archivmaterial montiert. Zum Einsatz kommen ausschließlich Originalfilme – vor allem Amateuraufnahmen, häufig in Farbe – und einige Fotografien, keine Interviews, keine nachgestellten Szenen, keine Erklär-Grafiken, keine technischen Spielereien. Hitlers Leben und Wirken spiegelt sich so auf einmalige Weise im Gesellschaftsbild der Jahre 1889 bis 1945. Ein Kino-Dokumentarfilm, der in der filmischen Vermittlung von Zeitgeschichte neue Wege weist.


Inhalt

Zur Person Adolf Hitler gibt es bisher erstaunlicherweise nur zwei Kino-Dokumentarfilme. Und der letzte – „Hitler – Eine Karriere“ von Joachim Fest – stammt aus dem Jahr 1977. Vier Jahrzehnte nach Fests Film bietet WER WAR HITLER von Hermann Pölking einen neuen und zeitgemäßen kinematografischen Zugang. WER WAR HITLER erklärt nicht, sondern liefert Informationen und Eindrücke zur Selbsterkenntnis, indem der Film Hitlers Leben und Wirken in ein umfangreiches Zeit- und Gesellschaftspanorama der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einbettet. Er erzählt in 17 Kapiteln und einem Prolog weitgehend chronologisch das Leben Adolf Hitlers in Interaktion und Resonanz mit der österreichischen und deutschen Gesellschaft sowie den nationalen und internationalen politischen Strömungen und Ereignissen der Jahre 1895 bis 1945.

Nachdem Hitler und die Zeit des Nationalsozialismus im deutschen Fernsehen in allen erdenklichen Facetten dokumentarisch abgehandelt wurden, bietet die Möglichkeit eines Kinofilms, der nicht an die Zwänge von TV-Formaten gebunden ist, ganz neue Möglichkeiten in der Beschäftigung mit dem Thema.

WER WAR HITLER unterscheidet sich von bisherigen Produktionen durch zwei besondere Merkmale: die Auswahl der Quellen und die Erzählweise. Normalerweise werden in Dokumentationen Archivmaterialien von Zeitzeugen oder vermeintlich allwissenden Experten eingeordnet und erklärt. WER WAR HITLER verzichtet gänzlich auf derartige Interviews und Statements sowie weitgehend auch auf einen erklärenden Kommentar. Dieser wird nur sehr sparsam an ausgewählten Stellen eingesetzt, um maßgebliche Hintergrundfakten zu liefern. Ansonsten beschränkt sich der Film auf Originalzitate, Reden und Schriften (Tagebücher, Briefe, zeitgenössische Publizistik und autobiografische Erinnerungen) von Hitler und seinen unmittelbaren Zeitgenossen. Es blicken also nicht Andere retrospektiv auf damals, sondern die historischen Protagonisten kommen ausnahmslos selbst zu Wort. So ergibt sich für den Zuschauer ein unkommentiertes Zeitpanorama, das er sich selbst „erarbeiten“ kann.

Der Film liefert ganz bewusst kein vorgefertigtes Bild. Es wird deutlich, was Hitler, seine Anhänger und Wähler, aber auch seine Gegner prägte und bewegte. Es sind Äußerungen von einfachen Leuten aus aller Welt ebenso wie von Vertretern der Eliten, Staatsmännern und Schlachtenlenkern, von Nationalsozialisten, Konservativen, Christdemokraten, Liberalen, Sozialdemokraten und Kommunisten; ein Kaleidoskop aus Meinungen und Ansichten von Mitläufern, Profiteuren und Mittätern, von Opfern und Gegnern.

Die mannigfaltigen Zitate werden durch eine besondere Auswahl an Archivmaterialien unterlegt. Die meisten Dokumentationen zum Nationalsozialismus nutzen die immer gleichen, hinlänglich bekannten Szenen. Oft werden diese historisch problematisch verwendet, d.h. der Bildinhalt passt nicht (exakt) zu dem Zusammenhang, in den er gestellt wird. Viele der bekannten Quellen – auch die der Alliierten - stammen zudem aus Wochenschauen oder ähnlichen Programmen, die Propagandazwecke verfolgten, also eine ganz konkrete Funktion der Zuschauersteuerung bzw. –manipulation besaßen. Doch die Quellenlage hat sich in den letzten Jahren drastisch geändert: Heute sind eine Vielzahl von Materialien aus privaten und nichtstaatlichen Quellen verfügbar, ein beachtlicher Teil davon sogar in Farbe. Der Rückgriff auf diese Archivfilme ermöglicht eine wesentlich unverfälschtere und authentischere Perspektive auf Hitler und seine Zeit.


Director’s Statement von Hermann Pölking

Ich bin Jahrgang 1954. Meine erste visuelle Erinnerung setzt mit dem Jahrhundertsommer 1959 ein, als die Erdkruste der Felder in meiner norddeutschen Heimat ledern wurde. Mein erstes bewusst zur Kenntnis genommenes Geschichtsereignis ist die Radioberichterstattung vom Mauerbau in Berlin im August 1961. Aus dieser akustischen Erinnerung dringen als Fetzen immer wieder die Stimmen des Vaters, Onkels und Großonkels, die in den Zigarrenqualm der heftigen Männerdiskussionen jener Jahre den Namen eines „Hitler“ schleudern. Mein Vater war sieben Jahre Obergefreiter in Hitlers Krieg, mein Großonkel Heinrich hatte sich als eigentlich streng katholischer Gerichtsvollzieher Hitler 1933 an die Macht gewünscht – und sich diesen Fehler zeitlebens nicht verziehen. Mein noch jugendlicher Onkel Wilfried studierte in West-Berlin und wusste mir, dem damals Siebenjährigen, Genaueres zu berichten. Und mehrmals im Jahr lieferte Rudolf Augsteins „Spiegel“, den ich schon mit zwölf Jahren las, Titelgeschichten zum Thema. Seit mehr als 50 Jahren beschäftigt mich nun Adolf Hitler.

Ich bin in diesem Jahr 63 Jahre alt geworden. Nach 40 Jahren Lektüre zur mitteleuropäischen Geschichte aus geschriebenen Quellen, 18 Jahren intensiver Arbeit im Dickicht filmischer Archive und einer filmdokumentarischen Tour d’Horizon durch die Alltagskultur des letzten Jahrhunderts fühlte ich mich der filmemacherischen Aufgabe gewachsen, mich der Frage „Wer war Hitler?“ zu stellen.

Menschen verstehen anders, wenn sie hören und zugleich sehen. Das Spiel auf der Bühne, ein Foto zum Text, auf jeden Fall das bewegte Bild im Film und Fernsehen sind ein umfassendes Angebot an das geistige Auge, das sowieso jedes gesprochene oder geschriebene Wort auch ohne aktuellen Bildimpuls in die im Kopf gespeicherten Bilder umsetzt. Unser Ziel mit WER WAR HITLER war es, dem Auge des Zuschauers mehr An- und Aufregung zu geben als der ikonografische Fast-Food-Bilderteppich der großen Mehrzahl historischer Dokumentationen, die im Fernsehen ihr Publikum suchen.

Mein Film nimmt zunächst das bewegte Bild als Quelle ernst. Diese hat im Kontext der Darstellung historischer Vorgänge sicher gänzlich andere Qualitäten als etwa ein als authentisch eingestuftes gedrucktes Dokument oder ein auf Verlässlichkeit geprüfter Zeuge. Das bewegte Bild zertifiziert zwar nur selten wie ein Aktenstück, weil es durch Bearbeitung und Einbettung leicht manipuliert werden kann. Aber es zitiert, wie etwa eine Autobiographie oder ein geschriebener Brief, als Quelle einen Moment der Geschichte. Wie bei diesen Quellen muss ich mir aber bei dem Einsatz eines Filmdokuments den technischen und subjektiven Prozess der Entstehung bewusstmachen; die Perspektive desjenigen, der die Kamera lenkte; der einst den Film schon bearbeitet hat; der bewusst oder unbewusst nicht aufnahm oder wegließ – wie der Tagebuchschreiber, der eine Seite aus seiner Kladde gerissen hat.

Weil WER WAR HITLER anti-ikonografisch wirken soll, braucht der Film möglichst viele unverbrauchte Quellen. „Gelernt-Effekte“ wollten wir bewusst vermeiden. Für WER WAR HITLER wurde dazu auf eine der größten Recherchen nach filmischen Quellen zurückgegriffen, die bisher für Film- oder TV-Dokumentationen gemacht wurde. Wir scheuten keine Mühen, die Produktion keine Kosten. Denn das Archiv ist in unserem Film der „Kameramann“. Ich habe die Quellen alle selbst gesichtet und keines der bewegten Bilder vergessen.

Ich habe zum Thema die autobiografischen Zeugnisse der Zeitgenossen gelesen; Quellen vom Tage wie Reportagen, Mitschriften von Reden und Gesprächen, Briefe, Aktenvermerke und Tagebücher. Und ich habe die Erinnerungen aus der Distanz ausgewertet, Rechtfertigungen und Selbstbeweihräucherung, hunderte von Autobiographien, geschrieben mit dem Wissen um den Verlauf der Geschichte, mit Flunkereien, kleinen und großen Lügen. Selbstverständlich wurden dabei die Leistungen der historischen Wissenschaft zum Thema voll umfänglich berücksichtigt. Über Hitler ist viel geforscht und geschrieben worden. Ich habe die Literatur durchgearbeitet, die Kontroversen der Vergangenheit und Gegenwart zum Thema reflektiert, die Fakten verantwortungsvoll geprüft und eingeordnet. Mit den Zitaten „beschieße“ ich in einer Montage meine Filmquellen.

Mehr als 120 Sprecherinnen und Sprecher geben den schriftlichen Zeugnissen der Zeitgenossen ihre Stimme. Ordnung, also zeitliche und geografische Orientierung in diese Kernspaltung vorgeprägten Wissens gibt eine chronologische Gliederung des Stoffes sowie ein spärlicher, nicht wertender Kommentar. Ansonsten vertraue ich auf die Assoziationskraft meines Publikums, seine Emotionen und seine Empathie für die Leiden der Geschichte. Walter Kempowskis „Echolot“, das medial vielleicht schon etwas abgelegen ist, war mir hierbei ein Vorbild; Ken Burns Erzählduktus war eine weitere Inspiration. Ich bediene mich häufig einer Bild-Text-Montage, die von vielen Dokumentarfilm-Puristen als „Text-Bild-Schere“ denunziert wird. Aber bei mir laufen dann nicht, wie bei einer geöffneten Schere, die Spitzen – Ton und Bild – immer weiter auseinander, sondern parallel. Bild und Text haben stets etwas miteinander zu tun, wenn auch oft auf anderen Ebenen. Ich will einen „Parallel-Effekt“ erzielen, der vielleicht der klassischen „Kontrastmontage“ im Bildschnitt entspricht. „Parallel-Effekt“ und „Kontrastmontage“ können Assoziationen beim Betrachter und Zuhörer wecken, in einigen Fällen auch filmische Leerstellen überspringen.

WER WAR HITLER ist bewusst puristisch. Der Film besteht zu etwa 95% aus Bewegtbild, zu etwa 5% aus Fotografien; keine Blenden, nur harte Schnitte, keine technischen Spielereien aus dem Zeitgeist der Möglichkeiten heraus; und keine Neudrehs, keine Interviews oder Animationen. Technisch ist WER WAR HITLER auf dem höchsten Stand. Seine Filmquellen wurden exzellent abgetastet, bevor sie in den Schnitt gingen. Wir stabilisierten, restaurierten und justierten sie farblich für die große Leinwand. Die Filmquellen sind originär fast alle stumm, der historische Moment ihrer Aufnahme war es nicht. Wir haben versucht, den Klang der Zeit naturalistisch zu erfassen, aber ohne irgendwelche Audio-Effekthascherei. Musik wird spärlich, aber wirkungsvoll eingesetzt; sie soll keinen Klangteppich bieten, sondern eher klaustrophobisch wirken.

WER WAR HITLER garantiert großes Kino: Gut und Böse, Oben und Unten, Massenszenen und Kammerspiele. Es ist die Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese hatte die größten Kriege, die größten Verbrechen, die unglaublichste Explosion an menschlicher Kreativität, dabei vielfach den titanischen Heldenmut eines Achill, die Listen des Odysseus, die Verschlagenheit eines Hagen von Tronje – und eine Person namens Adolf Hitler.


Ein Vorwort des Produzenten Thorsten Pollfuss

Hitler-Dokumentationen gibt es wie Sand am Meer. Dennoch haben wir uns drangesetzt, eine weitere in Form der vermutlich umfassendsten filmischen Hitler-Biographie zu produzieren. Warum? Die Vorgänge um uns und in aller Welt zeigen es: Das Thema ist leider aktueller denn je.

Wir leben in Zeiten, in denen der Populismus überall um sich greift, in denen nationalistische Bestrebungen überhandnehmen, in der Minderheiten offen angefeindet werden. Andersdenkende sollen mundtot gemacht werden, eine differenzierte und unabhängige öffentliche Medienlandschaft wird als „Lügenpresse“ diskreditiert. Für all das gibt es sicherlich viele Beispiele in der Geschichte, aber vor allem einen eindeutig erkennbaren Vorläufer: Adolf Hitler und die nationalsozialistische Bewegung. Die damaligen Vorgänge sind in erschreckender Weise eine Blaupause dessen, was sich momentan abspielt. Haben wir nichts aus unserer jüngeren Geschichte gelernt?

Die gezielte Ansprache der – wirklich oder oft auch nur gefühlt – Benachteiligten in der Gesellschaft, der sogenannten „Abgehängten“, die Abneigung gegen die Eliten, die geradezu in Hass umschlägt, das – teils im wortwörtlichen Sinn – Einschlagen auf Minderheiten und deren pauschale Diskriminierung, die angebliche Benachteiligung der Nation durch „böse“ Kräfte im Ausland oder gar im Inland, das Annektieren von fremden Gebieten unter Hinweis auf die dort unterdrückte Volksminderheit, die zurück zum Vaterland will, das – auch gewaltsame – Verhindern von Meinungs- und Pressefreiheit: All das waren die Ingredienzien, aus denen Hitler seinen Giftcocktail zusammenbraute.

Mit einem Gespinst dreister, sich stets wiederholender Lügen und vom Wahrheitsgehalt völlig entkoppelter Behauptungen, die die Menschen auf emotionaler Ebene ansprechen, quasi auf der Basis der niederen Instinkte, wird ein Klima des Hasses geschaffen, der sich von allen rationalen Argumenten entkoppelt. Wie in der Zeit des Nationalsozialismus zählen Fakten längst nicht mehr, sie werden notfalls schlicht geleugnet. Dumpfe Emotion, das Volksempfinden, treten als alleinige Motivation – und Rechtfertigung – an die Stelle von Wahrheit und Aufklärung. Und wenn diese Methode noch nicht zum Ziel führt, wird notfalls Gewalt angewendet und die kritischen Stimmen werden unterdrückt oder sogar getötet und später schlicht verboten, wie es derzeit z.B. in Polen, Russland und der Türkei gang und gäbe ist. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sind keine unantastbaren Werte mehr, von Liberalität und Rücksichtnahme auf Minderheiten ganz zu schweigen. Sehen die Anhänger von Putin, Erdogan, Trump, Kaczynski oder auch von Wilders, Le Pen, Hocke und Petry, um nur einige Beispiel zu nennen, nicht die Parallelen? Verschließen sie die Augen? Oder ist es das, was sie wollen?

Ein weiteres Merkmal ist regelmäßig die persönliche Inszenierung dieser Demagogen: Der starke Held, der sein Volk rettet, der allein für die Zukunft steht und daher uneingeschränkte Macht einfordert und bereitwillig eingeräumt erhält. Der Film WER WAR HITLER zeigt daher auch die zielgerichtete Steuerung des Personenbildes zu einem Kult und das damit möglich werdende infame Handeln, dem das Volk willfährig folgt. Hitler war sicherlich nicht er erste, der all diese Mechanismen nutze. Aber bei ihm können wir am klarsten sehen, wohin es geführt hat.

In WER WAR HITLER kommen ausführlich auch Vertreter der nach dem Ersten Weltkrieg mächtigen deutschen Arbeiterbewegung zu Wort, der (linken) Intelligenz der Weimarer Jahre, der damaligen politischen und wirtschaftlichen Eliten sowie der Presse und Medien. Sie kommentieren und analysieren die Entwicklungen teils mit erschreckend nüchterner Erkenntnis, so dass man mit Fug und Recht fragen muss, wie sie den Aufstieg Hitlers und des Nationalsozialismus zulassen konnten. Wenn Willy Brandt, in den Jahren der Weimarer Republik Gymnasiast in Lübeck, die damalige SPD kritisiert: „Man musste nicht links sein, um die SPD als vergreist zu empfinden, um zu sehen, dass weite Teile der Jugend ohne Orientierung waren und den braunen Rattenfängern nachliefen“, dann müssen wir uns auch heute fragen, ob wir genauso wie in den Jahren vor 1933 durch Egoismus, Bürokratismus, Sektierertum und auch Leichtsinnigkeit die Kontrolle über die Demokratie verlieren.

Lassen wir es knapp 100 Jahre später nicht erneut dazu kommen.

Lauenburg, im Juni 2017


Interview mit Autor & Regisseur Hermann Polking

Fabula und Sujet

Herr Pölking, warum noch eine Dokumentation über Adolf Hitler?

Über den Nationalsozialismus und Hitler wird produziert und von Sendern weltweit programmiert, weil eine große Gruppe Menschen das sehen will. Wir haben aber mit WER WAR HITLER gar nicht „Fernsehen“ gemacht. Wir haben einen Kino-Dokumentarfilm produziert. Und davon gab es zur Person Hitlers nach unserer Kenntnis seit Hitlers Ende im Jahr 1945 nur zwei: „Mein Kampf“ (Schweden/Deutschland) von Erwin Leiser aus dem Jahr 1960 und „Hitler – Eine Karriere“ von Joachim Fest und Christian Herrendoerfer aus dem Jahr 1977. Es ist also nach 40 Jahren wieder ein nicht-fiktionaler Film über Adolf Hitler im Kino zu sehen.

Aber ist das Kino der richtige Ort für eine historische Dokumentation? Viele von der Kritik hochgelobte Dokumentationen finden im Kino nicht ihr Publikum.

Den Film von Joachim Fest hatte ich als Produktion der 1980er Jahre verortet und war überrascht, dass er schon von 1977 stammt. Seitdem hat es keine Dokumentation mehr für das Kino gegeben. Natürlich kann man heute alles im Fernsehen sehen. Und auch dieser Film wird dann ja mal im Fernsehen laufen. Aber man nimmt einen Film im Kino, einen abendfüllenden Film, anders wahr – auch später vor dem Bildschirm. Bei einem Kinofilm muss man sich auf das Thema einlassen. Das ermöglicht eine andere, sicher auch anspruchsvollere Dramaturgie. Wir bringen für an Geschichte interessierte Menschen Zeitgeschichte als ganz großes Kino!

Deshalb fassen Sie sich bei WER WAR HITLER also nicht kurz. Es wird zwei Fassungen geben. Die „kurze“ Fassung ist etwas mehr als drei Stunden lang, eine lange Fassung sogar 7 ½ Stunden!

Wir haben schon zu Beginn unserer Planung nachgeschaut. Erwin Leiser hat 1960 zwei Stunden und zwei Minuten gebraucht, um in „Mein Kampf“ von Hitler zu erzählen. Joachims Fests Film von 1977 ist zwei Stunden und 30 Minuten lang. Zu ihrer Zeit waren das ungewöhnlich lange Filme. Golo Mann hat einmal geschrieben: „In unserer Zeit macht niemand mehr Weltgeschichte. Hitler war der letzte, der es für einen kurzen Moment tat.“ Hitler ist 56 Jahre alt geworden. Davon hat er 23 Jahre die deutsche und zwölf Jahre die Weltgeschichte bestimmt. Da gibt es viel zu erzählen, was von Belang ist. Und wir haben die bewegten Bilder. Hier hat sich die Materiallage in den letzten 25 Jahren grundsätzlich geändert. Vor allem der Einsatz von Amateurfilmen hat öffnete neue Möglichkeiten. Darauf hat das Fernsehen mit seiner Erklär-Dramaturgie, die vor allem illustriert, nicht angemessen reagiert.

Sie illustrieren also nicht?

Das möchte ich vermeiden. In meinen Filmen versuche ich, Filme als eine historische Quelle ernst zu nehmen. Dafür muss man natürlich den Entstehungshintergrund kennen. Wer hat den Film gedreht? Für welchen Zweck? Wurde ein Amateurfilm geschnitten? Habe ich bei einem Dokumentar-, Bildungs- oder Kulturfilm ein Drehband oder eine Schnittfassung? Gab es verschiedene Fassungen eines Films? Es ist ein Unterschied, ob meine filmische Quelle durch den Schnitt bereits dramaturgisch bearbeitet wurde oder Dokumentation eines Ereignisses pur ist.

Sie erzählen also aus den Quellen?

Das mache ich bei den meisten meiner Filme so. Bei WER WAR HITLER verzichten wir mit zwei, drei Ausnahmen aber darauf, die filmischen Quellen genau zu verorten, ihren Entstehungshintergrund zu erläutern. Wir machen auch keine technischen Angaben, ob es sich z.B. um 8mm, 9,5mm-Pathe, 16mm oder 35mm Aufnahmen handelt. Aber auch in dieser Dokumentation mische ich die Quellen in einer Szene, die mein Cutter und ich „Icons“ nennen, nicht. Eine Aussage, eine Episode, hat immer nur eine Filmquelle. Das haben wir bei WER WAR HITLER durchgehalten.

Sie erzählen also nicht, was wir in der Szene wann wo sehen. Was erzählen Sie?

In diesem Film arbeite ich zu mehr als 90% mit Zitaten von Zeitgenossen. Wir konfrontieren diese Zitate mit unseren filmischen Quellen. Immer mal wieder decken sie sich. Die Filme zeigen also dann das, von dem das Zitat berichtet. Oder der Text zum Bild kreiert etwas, was ich eine „Bild-Text-Parallelität“ nenne. Der Film zeigt etwas, was zwar zur gleichen Zeit geschieht, aber an einem anderen Ort. Das ist viel häufiger der Fall. Wir sehen etwa, gefilmt von ihrem Mann, eine Frau aus besseren Kreisen, die mit ihren sieben blonden Kindern im Jahr 1941 einen Urlaub auf der Insel Wollin in Pommern macht. Dazu wird ein Zitat von Primo Levi aus „Ist das ein Mensch?“ gesprochen, in dem er die Fürsorglichkeit der jüdischen Mutter für ihre Kinder auf dem Weg nach Auschwitz beschreibt. Wir treiben die „Bild-Text-Parallelität“ aber auch schon mal so weit, dass wir 180-Grad-Kontraste bilden. Zitate erzählen z.B. vom Hitler-Ludendorff-Putsch aus dem November 1923 und wir zeigen einen alkoholgetränkten oberbayrischen Biergarten mit Blasmusik und Schuhplatteln aus dem Jahr 1931. In der angelsächsischen Welt heißt der Hitler-Putsch von 1923 „Beer Hall Putsch“. Wir konfrontieren bajuwarische Gemütlichkeit mit bayrischer Revolutionsattitude.

Was war ihr inhaltliches Konzept?

Ungefähr seit dem Jahr 2007 wusste ich von dem Plan von Stefan Aust und Michael Kloft von „Spiegel TV“, einen Hitler- Dokumentarfilm für das Kino zu produzieren. Ich hatte damals aus dem Saeculum Archiv schon einige Filmquellen geliefert. Mein heutiger Partner Karl Höffkes war über diese Pläne schon länger informiert. Solange wir beide damit rechnen mussten, dass „Spiegel TV“ einen Film zur Biographie Hitlers machen wurde, hatten wir das Thema nicht auf der Agenda. Das Thema hat mich zunächst inhaltlich auch gar nicht so stark interessiert. Ich habe mich lange gefragt, ob „Hitler“ nicht schon auserzählt ist. Die Idee, gemeinsam einen Hitler-Dokumentarfilm für das Kino zu realisieren, kam auf einer gemeinsamen Reise von Thorsten Pollfuß, Karl Höffkes und mir nach Tel Aviv und Jerusalem im Jahr 2014. Da war klar, von Stefan Aust und Michael Kloft kommt vorläufig kein Kinofilm. Ich wollte einen Dokumentarfilm fürs Kino auch deshalb machen, um einmal mit einem großen Budget einen Film nach meinen Vorstellungen, ohne Vorgaben einer TV-Dramaturgie realisieren zu können. Damals hat das Debattenmagazin „The European“ einen Titel herausgebracht, auf dem Adolf Hitler als „Deutschlands einzige Weltmarke“ bezeichnet wurde. Das war Hitlers Opfern gegenüber zwar pietätlos, aber zutreffend.

Wie ist ihre Erzählweise?

Ich dachte, das Thema „Hitler“ würde mir erlauben, meine Ideen einer konsequent neuen Erzählweise eines historischen Stoffes exemplarisch umzusetzen. Ich wollte filmisch und dramaturgisch puristisch erzählen. Wie in den frühen Zeiten des Kinos: nur harte Schnitte, keine Blenden, ohne technische Spielereien, die schon nach einem halben Jahrzehnt veraltet sind; ausschließlich mit Einsatz von Archivfilmen und, wo unvermeidlich, wenigen Fotografien; keine Interviews; keine nachgestellten Szenen; keine Erklär-Grafiken. Also Dokumentarfilm pur.

Joachim Fest hat Hitler 1977 ins Kino gebracht, nachdem er vier Jahre zuvor ein dickes Buch publiziert hatte.

Mir war immer klar, dass ich in große Fußstapfen trete. Ich habe für das Drehbuch mehr als 800 Bücher gelesen. Aus fast 400 Büchern zitiere ich im Film. Und ich kann sagen, nicht wenige der Bücher waren 1.000 Seiten und mehr dick. Gottseidank kann ich sehr schnell lesen. Mein erster Schritt der Beschäftigung war die Lektüre der meisten der bisher auf Deutsch und Englisch publizierten Hitler-Biographien. Dann habe ich mich Büchern zugewandt, die sich mit Teilabschnitten von Hitlers Leben befassen, dann Tagebüchern, Briefsammlungen, Dokumenten und Autobiografien von Zeitgenossen. Bei der Auswahl der Zitate hatte ich immer die Qualität und Originalität meiner Quellen abzuwägen. Ich habe dann aus diesen Büchern Zitate exzerpiert. Wobei ich nur Zeitgenossen Hitlers zu Wort kommen lassen und ganz bewusst nicht auf die Kommentare allwissende Historiker zurückgreifen wollte. Ich habe überschlagen, dass ich rund 14.000 Zitate digitalisiert und wissenschaftlich bearbeitet habe.

Hat sich seit 1977 nicht die Materiallage und der Wissensstand komplett verändert?

Mit Sicherheit. Auch im Fernsehen hat man seit Beginn der 1990er-Jahre auf jede neue Erkenntnis der Forschung, auf jede Neuinterpretation der Hitlerschen Biographie reagiert. In keinem Gebiet der Geschichtsschreibung ist der Wissensstand so breit wie zum Thema Nationalsozialismus, Holocaust und Zweiter Weltkrieg.

Und dann haben Sie ein Drehbuch geschrieben.

Das erste Textbuch – man kann es ja nicht Drehbuch nennen, weil wir gar nicht gedreht haben – war 28 Stunden lang und Thorsten Pollfuß und Karl Höffkes haben es gar nicht erst gelesen. Gleichzeitig habe ich wohl tausend Stunden Archivfilme gesichtet. Bei der Textauswahl hatte ich immer schon Filme im Kopf, die ich einsetzen wollte, zumindest Motive, nach denen ich suchen musste. Ich habe auch in der Lektüre noch einmal nach Stellen gesucht, die zu Ausschnitten passen würden, die ich unbedingt bringen wollte. Wir haben dann 18 Stunden Zitate von neun Layout-Sprecherinnen und Sprechern einsprechen lassen. Im ersten Rough Cut habe ich 14 Stunden auf die Layout-Sprachaufnahme kapitelweise vorgeschnitten. Ich habe mit den vier Kapiteln begonnen, die aus Hitlers „Friedensjahren“ von 1933 bis 1939 erzählen. Hier wusste ich, dass wir anders als bei den Jahren 1889, Hitlers Geburtsjahr, bis zum Jahr 1926, als Anhänger der Partei den ersten Film über ihre Bewegung drehten, kein Materialproblem haben würden. Dann begann der Prozess der Verdichtung. Und hier erst kam die Idee auf, nicht nur eine „kurze“ 3-Stunden-Fassung, sondern auch noch ein Kino-Event zu schaffen. Wir hatten einfach zu viele gute Filmquellen nicht einsetzen können. Eine ca. 9 Stunden lange Fassung von WER WAR HITLER haben wir dann vertont, haben dafür von Julius Holtz Musik komponieren lassen und begonnen, die Layout-Sprecherinnen und -Sprecher durch finale Sprachaufnahmen zu ersetzen. Am Ende haben 117 Sprecherinnen und Sprecher ca. 350 „Zitatgeber“ gesprochen.

Kann man die gleiche Geschichte in drei Stunden erzählen und in mehr als sieben Stunden?

Nein, das kann man nicht. Es ist nicht die „gleiche“ Geschichte. Wir mussten aufpassen, dass wir die Kürze nicht mit der Unwahrheit der Auslassung würzten. Es gibt ja auch den Satz, man könne mit der halben Wahrheit lügen. Wir wollen ein jedes Mal die richtige Geschichte erzählen, aber anders.

Die Langfassung ist also kein klassischer „Director’s Cut“?

Zu einem „Director’s Cut“ kommt es im Kino häufig, weil Regisseur, Produzent und Verleiher nicht einer Meinung sind. Ins Kino kommt, was Produzent und Verleiher wollen. Der Regisseur darf dann später noch einmal seine „Redux“-Version liefern. So war die Lage bei uns nicht. Autor und Regisseur, Produzent und Verleih hatten keine Konflikte. Wir haben nach einer dramaturgischen Lösung eines inhaltlichen Problems gesucht. Das ist jetzt etwas theoretisch: Im russischen Formalismus der Jahre 1910 bis 1930, der von der Theaterbühne auf den sowjetischen Film übersprang, gab es die Begriffspaare „Fabula“ und „Sujet“ – den Unterschied zwischen dem, was eine Geschichte erzählt, und dem, was noch so passiert. Die „Fabula“ berichtet, was geschehen ist, in chronologischer Reihenfolge. Diese „Fabula“, das Geschehen zu erzählen, leistet unsere Kurzfassung mit einer hoffentlich eigenen Spannung. Das „Sujet“ ist die gewählte Sicht unserer „implizierten“ Dramaturgie, unsere Art, zu erzählen, sowie die Reihenfolge, in der wir es tun. Der „Fabula“ rollen wir mit dem „Sujet Hitler“, das sich bei uns um „Hitler und die Deutschen“ dreht, einen besonders in der Langfassung breiten Teppich aus.

Sie gehen also auf Nebenschauplätze und in die Tiefe der Psychologie?

Psychologisch und damit spekulativ werden wir nie. Bei Hitler war wohl fast alles Fassade. Was sich dahinter versteckte, wissen wir nicht. Das hat mich auch nicht interessiert. Es wird zu allen Zeiten deformierte Menschen mit Machtinstinkt wie Hitler gegeben haben. Man hätte ihn einfach nicht wählen dürfen. Die deutschen Eliten hätten nicht zulassen dürfen, dass sich ein Mann wie Hitler mit Lüge und Verstellung an die Macht schummelt. Dann hätte dieser Mensch seine Untaten nicht vollbringen können. Wir widmen Hitlers Elternhaus, seiner Kindheit und Jugend, seinen Jahren der Rumtreiberei in Wien und München sowie den Jahren des Gefreiten Hitler im Ersten Weltkrieg allerdings fast ein Sechstel der Erzählung. Es wird schon klar, was ihn geformt oder geprägt haben könnte. Aber auch hier – wie an vielen anderen Stellen – spekulieren wir nicht. Spekulative Aussagen von Zeitgenossen, die wir zugelassen haben, konfrontieren wir fast immer mit gegenläufigen Zitaten. Ob Hitler homo-, bi- oder heterosexuell war, mit einem oder zwei Hoden Geschlechtsverkehr hatte oder nicht, hat uns nicht interessiert. Ob er dumm oder klug war, sehr wohl! Und natürlich, was er wusste. „Hitler wusste alles“, sagen in der Erinnerungsliteratur die Männer und Frauen, die ständig um ihn waren.

Also gibt es wenig „Hitler privat“ zu sehen?

Nein, sogar relativ viel. Es gibt ein Kapitel „Ein Biedermann“, da geht es nur um den privaten Hitler. Wir lassen die Zeitgenossen von einem Mann berichten, der auch über sein Privatleben die Öffentlichkeit täuschte. Der sich bescheiden gab, aber auf großem Fuß lebte; der, so wurde man heute sagen, in einer „festen Beziehung“ war und seine Lebensgefährtin vor der Öffentlichkeit versteckte; der ein Bohemien war, spät zu Bett ging, selten vor 11.00 Uhr aufstand, sich lieber Filme anschaute als Akten zu studieren.

Warum muss der Zuschauer das wissen?

Hitler war ein Mensch, kein Übermensch, als der er sich stilisierte. Und leider auch kein „Unmensch“. Menschen, die wie er privat von seiner Umgebung „nett“ gefunden werden, können morden und die Welt mit Krieg verheeren.

Kommen wir noch einmal auf Ihre Erzählweise zurück …

Wir erzählen mit Ausnahme des Prologs und der zwei Kapitel „Ein Biedermann“ und „Ein Massenmörder“ mit 15 der 17 Kapitel chronologisch von Hitlers Geburt bis zu seinem Selbstmord im Bunker unter der Reichskanzlei. Das ist die „Fabula“. Sozusagen die Unterrichts-Doppelstunde in Geschichte. Im „Sujet“, also der längeren Fassung, betten wir Hitlers Leben sehr viel stärker in den Alltag und Gesellschaft im Deutschen Reich und in Österreich ein. Hier folgen wir den Hitler-Biographen, die Hitler als Ausdruck und/oder Projektionsfläche eines großen Teils der deutschen und österreichischen Gesellschaft und ihrer Strukturen in den 1920er und 1930er Jahren sehen. Man nennt sie die „Funktionalisten“. Die „Intentionalisten“ wie Joachim Fest, Allan Bullock oder aktuell Wolfgang Pyta sehen Hitler in ihrer personalisiert-biografischen Methode als Akteur der Geschichte, als Verführer und großen Menschenfänger, mit viel Charisma. „Charisma“ billigen wir Hitler auch zu, allerdings mehr ein mit Perfektion gespieltes als ein echtes. Ich meine, dass kann man in den Filmdokumenten erkennen. Wir vermitteln wie Ian Kershaw in seiner Hitler-Doppelbiographie zwischen beiden Auffassungen.

Hitlers Ende und die Folgen seiner Politik sind bekannt. Wie erzeugen Sie Spannung?

Kino darf solange komplex mäandern, wie ein dramaturgischer Kern erkennbar bleibt. Wo Schatten ist, muss auch Licht sein. Wir haben in unserem Plot Gut und Böse. Der Schurke ist bei WER WAR HITLER bekannt. Wer die „Guten“ sind, wird hier nicht verraten. Wir haben dem Antihelden Hitler einen Helden gegenübergestellt. In der Langfassung wird das sehr deutlich. Wir haben auch die Nebenrollen gut besetzt. Wir überraschen in Bild und Text; mit Bildern, die Staunen lassen und Zitaten von Zeitgenossen, die verwundern. Und wir versetzen den Zuschauer für 3 oder 7 Stunden in die Hitler-Zeit, weil wir die Jahre 1889 bis 1945 optisch nie verlassen.

Abschließend eine Frage: Wer war Hitler?

Ein Mensch mit der Fähigkeit zur Selbstsuggestion, aus der er Willensstärke schöpfte; und ein sehr begabter Schauspieler, der ohne Hemmungen log – die gefährlichste Mischung, die es gibt.


Interview mit Produzent Thorsten Pollfuß

„Drei Jahre mit Hitler ist nicht immer schön“

Herr Pollfuß, warum noch ein Film über Adolf Hitler?

Zugegeben, im Fernsehen gibt es jede Menge Dokumentation zur Zeit des Nationalsozialismus. Das Interesse nimmt aber nicht ab. Als ich im Jahr 2000 bei „Spiegel TV“ anfing, dachte ich zunächst, es sei doch nun alles erzählt und keiner will noch etwas über Hitler und den Nationalsozialismus sehen. Aber ich hatte mich getäuscht. Alles, was zu dem Thema gemacht wurde, fand große Aufmerksamkeit. Als wir dazu übergingen, DVDs zum gedruckten Spiegel beizugeben, waren die Titel mit DVDs zum Dritten Reich diejenigen, die sich mit Abstand am besten verkauften. Das hat auch damit zu tun, dass es für uns die letzte große archetypische Krise war. Andere Nationen hatten da ja durchaus schon weitere Krisen, wie z.B. die Amerikaner mit ihren Verlusten im Vietnamkrieg. Wir haben den Film auch nicht in erster Linie für das Fernsehen, sondern für das Kino gemacht.

Aber ist das Kino der richtige Ort für einen historischen Dokumentarfilm? Viele von der Kritik hochgelobte Produktionen finden im Kino nicht ihr Publikum.

Als sich die Idee zu dem Film bei mir konkretisierte, war ich zunächst überrascht, dass es für das Kino schon lange keinen Dokumentarfilm über Hitler mehr gegeben hat. Der letzte, „Hitler – Eine Karriere“ von Joachim Fest, stammt von 1977. Das hat mich gereizt. Für das Kino kann man anders erzählen. Im Fernsehen folgen die Dokumentationen zum Dritten Reich meist einem bestimmten vorgegebenen Schema: lange und aufwändige Erzählung der Fakten durch einen Sprecher, dann eine Bestätigung dessen durch ein oder zwei Augenzeugen und abschließend die finale Bestätigung all dessen durch ein oder zwei Experten. Der Zuschauer bekommt das alles fertig vorgesetzt und dreimal durchgekaut. Er muss sich eigentlich keine eigenen Gedanken mehr machen. Fernsehen ist ja auch häufig ein Nebenbei-Medium und will mit solchen formatierten Programmen den Zuschauer halten. Bei einem Kinofilm lässt sich der Zuschauer aber ganz bewusst auf das Thema ein. Zudem hat sich das Kino in den letzten Jahren sehr stark geändert. Die Multiplex-Kinos überwiegen. Und selbst Programmkino-Betreiber bewirtschaften heute fast immer mehrere Säle. „Special Interest“-Programme haben damit eine bessere Chance, ihr Publikum zu finden, sei es als Vorabend- oder Spätprogramm oder auch als Eventprogrammierung wie z.B. im Rahmen einer Matinee-Vorstellung. Die Digitalisierung hat zudem für die Kinobetreiber die Abspielkopien verbilligt. Dadurch können auch die „kleinen“ Filme besser, weil wirtschaftlicher, eingesetzt werden. Und ein zusätzlicher Trend: Neben den ganz jungen gehen vermehrt ältere Menschen wieder ins Kino. Und ältere, gebildete Menschen mit hohem Einkommen interessieren sich besonders stark für Geschichte.

Sie fassen sich bei WER WAR HITLER nicht gerade kurz.

Geplant war eigentlich ein Film mit einer Länge von gut 2½ Stunden, was auch der Länge des Films von Joachim Fest entspricht. Aber wir merkten schnell, dass das kaum zu schaffen ist. Zum einen schildern wir im Gegensatz zu vielen anderen Filmen wirklich die gesamte Biografie von Hitler, von der Geburt bis zum Tod, und das vor allem filmisch. Gerade Hitlers Kindheit und Jugend wird bei uns umfassend mit sehr ausgewählten und seltenen Quellen dargestellt und nicht nur wie bei anderen im Stakkato durch einen Sprecher abgehandelt. Das liefert ein entsprechend umfassenderes Bild. Zudem erfordert unsere Dramaturgie einen entsprechenden Raum. Da wir die Ereignisse weitgehend nur mit Quellen aus der damaligen Zeit erzählen, benötigen wir Zeit. Durch die digitalen Kino-Kopien spielt die Länge eines Filmes für den Verleih und die Kinos kostentechnisch eine untergeordnete Rolle. Die Filme können deshalb auch ruhig länger sein, was zu einer veränderten Dramaturgie führt. Und vor allem die VoD-Dienste, die nicht an ein Sendeschema mit längenbeschränkten Slots gebunden sind, bringen immer mehr erfolgreiche Langformate hervor. Der Trend zu längeren Formaten ist klar erkennbar.

Was bedeutet, dass Sie auf Quellen aus der damaligen Zeit abstellen?

Anders als bei typischen TV-Dokumentationen spielt der Sprechertext bei diesem Film eine untergeordnete Rolle. Sprechertexte transportieren in der Regel die aktuellen Erkenntnisse der Historiker, beruhen also auf einer rückblickenden Bewertung der damaligen Ereignisse aus heutiger Sicht. In unserem Film wollten wir aber zeigen, wie es Hitler geschafft hat, zu dem zu werden, was er war. Wie waren die damaligen Verhältnisse? Was haben die Leute damals über ihn und sein Handeln gedacht? Was haben sie gemacht? Was hat er gemacht? Wie kam es zu alledem? Das ist mit einem Abstand von 70 Jahren in einer Rückschau und in Kenntnis aller Umstände oft gut zu erklären. Aber das vermittelt nicht unbedingt, wie es die Leute damals konkret erlebt haben. Von daher erzählen wir in dem Film weitgehend über Zitate von Personen, die zusammen mit Hitler lebten, die die Ereignisse aus eigener Ansehung schildern. Wir haben dabei vornehmlich auf Briefe, Tagebücher, Reden, Bücher und Zeitungsartikel aus der Zeit zurückgegriffen. Der Zuschauer erlebt den Werdegang Hitlers damit quasi als zeitgenössischer Beobachter. Es ist ein wenig so, als ob man in die damalige Zeit eintaucht.

Worin unterscheidet sich der Film von herkömmlichen Hitler-Dokumentationen noch?

Wir verzichten vollständig auf die typischen Ingredienzen der TV-Dokumentationen wie Interviews mit Zeitzeugen und Experten, aktuelle Aufnahmen von den damaligen Plätzen oder Re-Enactments von bestimmten Szenen, zu denen es keine dokumentarischen Filmquellen gibt. Der Film ist ausschließlich mit Archivmaterial bebildert. Allerdings unterscheiden wir uns auch da sehr stark von herkömmlichen Dokumentationen. Wir greifen umfangreich auf private Filmaufnahmen zurück. Die klassischen Szenen aus Wochenschauen vermeiden wir, soweit es geht. Zum einen hat man die schon häufig genug gesehen und zum anderen muss man daran denken, dass das Aufnahmen zu Propagandazwecken gewesen sind, die den Zuschauer steuern sollten. Diese Quellen vermitteln kein authentisches Bild der Zeit. Das gilt übrigens in Teilen auch für die Aufnahmen der Alliierten. Die Filme aus privaten Quellen dagegen sind weitgehend ungefiltert und ungeschönt. Die Ereignisse werden damit quasi durch eine Sicht von unten bzw. auf gleicher Ebene erzählt und nicht durch die Draufsicht einer gesteuerten Wochenschau-Kamera geschildert. Schließlich haben wir bei dem Archivmaterial sehr genau darauf geachtet, dass das Material zu der jeweiligen Periode gehört. Die Bilder vermitteln daher sehr genau die Ereignisse und die Gefühle der damaligen Zeit. Es ergibt sich damit eine Art von Kaleidoskop, ähnlich wie in Walter Kempowskis „Echolot“. Dem Zuschauer erschließt sich mehr und mehr ein Bild der damaligen Zeit.

Wann hatten Sie die Idee, diesen Film zu machen?

Die Idee reifte schon lange. Als ich bei „Spiegel TV“ wegging und zusammen mit Stefan Aust die Agenda Media gründete, wollte ich das Projekt angehen. Wir sprachen mit der Filmförderung in Hamburg und entwickelten erste Ideen, kamen dann aber aus Zeitgründen nicht wirklich zur Umsetzung des Projekts. Denn eins war von vornherein klar: Eine umfassende Hitler-Biografie bedeutet einen immensen Aufwand an Recherche und Vorbereitung. Auch zu Zeiten von N24 war die Zeit nicht gegeben. Als ich dann mit Epoche Media startete, war mir klar, dass dies der richtige Moment war. Zudem hatte ich mit Hermann Pölking den richtigen Partner für das Projekt. Hermann Pölkings unvergleichbare Stärke liegt darin, Geschichte mit bildhaften Erzählungen erlebbar zu machen und Archivmaterial kongenial einzusetzen. Hätte ich aber zu Beginn gewusst, was für einen immensen Aufwand das Projekt erforderte, wäre ich es vermutlich gar nicht erst angegangen. Drei Jahre mit Hitler sind nicht immer schön.

Der Film lebt sehr stark von dem Archivmaterial. Wie haben Sie die Filme gefunden?

Zunächst hatten wir das Glück, dass sich Karl Höffkes sehr stark für das Projekt engagiert hat und zu einem echten Partner für den Film wurde. Ohne den Zugriff auf sein einzigartiges Archiv, vermutlich das weltweit umfassendste mit Filmen aus der Zeit des Dritten Reichs, wäre dieser Film gar nicht möglich gewesen. Hermann Pölking konnte über das Saeculum Archiv einen weiteren, sehr breiten Quellen-Fundus einbringen. Und dann musste weltweit recherchiert werden. Wir nutzen Filme aus über 80 Archiven in zwölf Ländern. Wir haben Ansichtskopien von fast 1.000 Stunden Film gesichtet.

Die Arbeit mit historischen Filmquellen ist aufwändig. Was waren Ihre Herausforderungen?

Da alle Beteiligten in diesem Bereich profunde Erfahrung hatten, waren wir uns sicher, dass wir die Aufgabe nicht unterschätzen konnten. – Wir haben sie dennoch drastisch unterschätzt! Speziell dadurch, dass wir vermehrt auf andere Quellen als sonst üblich zugegriffen haben, ergaben sich vielfältige Schwierigkeiten. Und wir mussten immer auf den Einsatz auf der großen Leinwand achten. Beim Fernsehen versendet sich schon mal eine Szene in etwas schlechterer Qualität. Im Kino geht das nicht. Zudem hatten wir den Anspruch, qualitativ soweit wie möglich dem heutigen Standard eines HD-Films zu genügen. Gerade für jüngere Zuschauer ist das wichtig. Wir haben daher nahezu das gesamt Material umfassend bearbeitet: neue Abtastungen, Restaurierung, Stabilisierung, Anpassung der Laufgeschwindigkeit, Angleichung Halbbildquellen zu Vollbildquellen und so weiter.

Was waren die weiteren Herausforderungen?

Auch die Auswahl der Sprecher war anspruchsvoll. Da wir eine Vielzahl von Zitaten im Film haben, planten wir mit über 350 Rollen. Wir wollten aber auf keinen Fall die üblichen zwei oder drei Dokumentarsprecher einsetzen, die dann alles routiniert runtersprechen. Die Sprecher sollten möglichst natürlich klingen, so wie ihre Rollen. Die Recherche zu über 120 Sprechern und Schauspielern, die Sprachaufnahmen, das Anlegen von 350 Rollen war dann eine Herkules-Aufgabe.

Noch einmal zu der Länge: Wer sieht sich einen 7½-stündige Dokumentarfilm im Kino an?

Uns geht es hier um ein richtiges Kino-Event. Filme in dieser Länge sind gerade in letzter Zeit in Mode gekommen. Ulrike Ottingers „Chamissos Schatten“ ist zum Beispiel zwölf Stunden lang, wird in drei Teilen an drei Tagen gezeigt und hat auch seine Zuschauer in den Kinos gefunden. In der langen Festivalfassung, wie wir sie nennen, kommt das redaktionelle Konzept besonders gut hervor, weil man wirklich den Raum hat, zu erzählen. Der Zuschauer kann eintauchen und alles auf sich wirken lassen. Der Film entwickelt geradezu einen Sog, noch viel stärker als in der kürzeren Fassung.

Planen Sie auch einmal einen Film über aktuelle Themen, oder anders gefragt: Warum arbeiten Sie immer zurückblickend?

Das Thema von WER WAR HITLER ist leider sehr aktuell. Wir sollten uns alle gerade heute noch einmal ganz genau speziell die Geschehnisse von 1919 bis 1939 ansehen. Die Parallelen sind erschreckend. Es scheint fast, als wären Hitler und der Nationalsozialismus eine Art Blaupause für die Populisten unserer Zeit. All das, was die Putins, Erdogans, Trumps und Dutertes dieser Welt derzeit veranstalten, findet seinen Vorläufer in Hitler. Wenn wir da nicht aus der Geschichte gelernt haben und dem entschieden entgegentreten, sehe ich dunkle Zeiten auf uns zurollen.

Abschließend die zentrale Frage: Wer war Hitler?

Eine Naturkatastrophe, aber von Menschen gemacht.


Schnittmeister Julio Olmo Poranzke über das Besondere an der Arbeit mit Amateurfilmen und die Montage von „Wer war Hitler“

Text/Bild, oder: Im Steinbruch der Filmquellen

Der Dokumentarfilm WER WAR HITLER ist nicht nur durch die Längen seiner Fassungen (3 und 7,5 Stunden!) ungewöhnlich, sondern auch durch die Materiallage. Für diesen Film wurde nicht gedreht. WER WAR HITLER ist ein „Kompilationsfilm“ – ein einzig aus bereits vorhandenem Archivmaterial montierter Film. Er steht damit in Tradition der großen historischen Dokumentarfilme von Frank Capra („Here is Germany“, 1944), Erwin Leiser („Mein Kampf“, 1959) oder Mihail Romm 1965 („Der gewöhnliche Faschismus“) – um nur einige bekannte Beispiele zu nennen. Im Gegensatz zu diesen bedient er sich aber nicht vornehmlich aus editierten Quellen wie Kino-Dokumentationen, Kulturfilmen, aus Wochenschauen oder dem, was als Kamerabänder noch vorhanden war. WER WAR HITLER schöpft aus dem großen Fundus von Amateurfilmen – Filmen, die von mehr oder manchmal auch weniger begabten Amateuren für das Heimkino aufgenommen wurden.

Vorweg zwei kurze Anmerkungen: Ich verstehe den Begriff „Amateur“ nicht als Abwertung gegenüber den sogenannten „Profis“. Technisch ist ein Unterschied zwar oftmals unverkennbar. Aber für mich ist der wichtigere Aspekt des Amateurfilms (oder Privatfilms) das Fehlen eines Auftraggebers oder von Vermarktungsgedanken. Ein Amateurfilmer filmt, was ihm wichtig ist, und gestattet uns, den Rezipienten, somit einen kleinen Einblick in sein Leben. Ein professioneller Film zeigt uns, was der Filmer (oder seine Auftraggeber) zeigen möchte. Diese Einschränkung gilt natürlich auch für WER WAR HITLER. Doch dazu später. Die zweite Anmerkung betrifft die Anrede der Zuschauer unseres Films. Um einen Film zu verstehen, sei es im Sinne seiner Schöpfer oder frei nach dem eigenen Empfinden, ist eine Auseinandersetzung mit dem Gesehenen nötig. Ob diese automatisch oder bewusst stattfindet, ist irrelevant. Es findet so oder so mehr statt als bloßes Zuschauen, das Gesehene wird rezipiert. Deswegen möchte ich im Folgenden lieber den Begriff Rezipient anstatt Zuschauer verwenden.

Amateure haben schon früh gefilmt. Meist waren sie technisch begabte Menschen, die zudem noch über die finanziellen Mittel verfügten, sich ein solch teures und zeitaufwendiges Hobby leisten zu können. Und oft waren Amateurfilmer auch Apotheker. Denn im Film kommt man mit Chemie in Berührung. Der Butzbacher Apotheker Julius Neubronner hat schon 1905 den Film zu seinem Hobby gemacht. Sein Nachlass liegt im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main. Der Stuttgarter Industrielle Hermann Hähnle legte sich seine erste Filmkamera auf der Weltausstellung 1900 in Paris zu. Eine seiner frühen Aufnahmen (von 1907) haben wir in unserem Film verwendet.

Wirklich Fahrt nimmt der Amateurfilm aber erst in den Jahren 1922/23 auf, den Jahren von Hitlers Aufstieg. Im Jahr 1923 kommt gleichzeitig mit dem 16mm-Film von Kodak das 9,5mm-Pathé-Format auf den Markt. Dank des unbrennbaren Umkehrfilms und preiswerter Filmapparate kann er sich schnell weltweit durchsetzen. Der Pathé-Film hat keine Perforationslöcher an den Seiten, sondern eine Mittenperforation zwischen den Bildern. Er hat so die größte Materialausnutzung aller Filmformate. Während der 9,5mm-Film in Deutschland jedoch schon bald durch 16mm- und 8mm-Filme in den Hintergrund gedrängt wird, bleibt er in Frankreich noch bis in die 1950er Jahre das vorherrschende Format.

Kameramänner bis 1930 sieht man meistens am Kurbeln. Die Kurbel zwingt zum Einsatz eines Stativs. Das ist kein Problem bei Studioproduktionen oder bei aufwändigen Dreharbeiten im Freien. Den Amateur als den teilnehmenden Beobachter eines Ereignisses aber beschwert ein Stativ. 1923 entwickelt Emanuel Goldberg für die Internationale Camera Actiengesellschaft in Dresden die Kinamo Filmkamera mit Federantrieb. Dieser ermöglicht das Filmen ohne Stativ. Und diese Erfindung entfesselt regelrecht die Amateurkamera. Der Amateur kann ab sofort aus der Hand filmen. Ihn stört ein wackelndes Kamerabild wenig. Er will dokumentieren, nur selten inszenieren. Aber noch sind die gefilmten Einstellungen kurz. Nach spätestens 30 Sekunden muss das Laufwerk neu aufgezogen werden. 1932 kann der Filmamateur, um Kosten zu sparen, statt auf 16-mm- auf 8-mm-Film zurückgreifen. Wie auch heute noch in der digitalen Welt, buhlen auch damals verschiedene Standards um die Gunst der Kunden. Durchsetzen kann sich der Doppel-8-Standard von Eastman Kodak. Der Doppel-8-Film hat bei der Aufnahme eine Breite von 16 mm und ist beidseitig perforiert. In der Kamera wird zunächst eine Hälfte des Filmes belichtet, später im Rücklauf die zweite. Nach der Entwicklung wird der Film in zwei 8 mm breite Filmstreifen zerschnitten und zu einem Normal-8-Film zusammengeklebt.

Seit Mitte der 1930er Jahre breitet sich in der Amateurfilmszene allerdings ein neuer Trend aus, der die Kostenersparnis des 8mm-Films wieder negiert: Der Farbfilm. Hier ist er früher populär als im professionellen Umgang mit dem Medium Film. Viele Berufsfilmer lehnen ihn aus Kosten-, aber auch aus künstlerischen Gründen ab. Noch bis zu Beginn der 1970er Jahre wird in Deutschland von Profis mehr in Schwarzweiß als in Farbe gedreht.

Der Amateurfilm ist bis in die Mitte der 1950er Jahre immer stumm und blieb es auch nach der Einführung des Tonfilms im professionellen Umfeld noch für lange Zeit. Die Einführung des Tonfilms und die damit einhergehende Heraufsetzung der Aufnahme- und Projektionsgeschwindigkeit auf 24 Bilder pro Sekunde bescherte uns ein Phänomen, das sich bis heute im Amateurfilm, aber leider auch im professionellen Bereich halten konnte: Häufig sieht man im Fernsehen Filmsequenzen aus der Zeit „als die Bilder laufen lernten“ in einem gar lustigen Zeitraffer. Alle Objekte bewegen sich zu schnell! Die Menschen rennen umher, als hätten sie Angst in einer Phase der Ruhe sofort vom Blitz getroffen zu werden. Der Grund für dieses Verhalten: Aufnahmen mit niedriger Bildfrequenz (z.B. 16 Bilder pro Sekunde, B/S) wurden in ein neueres Format überführt (z.B. 24 B/S), z.B. weil sie in einem Tonfilm verwendet werden sollten. Eine Sache hat sich dabei in den letzten knapp 100 Jahren nicht geändert: Es gibt keinen zwingenden Grund, die Filme zu schnell abzuspielen. Ein Beispiel: Ein Ei fällt von einem Tisch auf den Steinfußboden. Dieser Fall dauert genau eine Sekunde. Eine Filmkamera mit 16 Bildern pro Sekunde belichtet somit 16 Bilder für den Fall. Wird nun die 16-B/S-Aufnahme in einem Projektor mit 16 Bildern pro Sekunde abgespielt, ist das Ei nach genau einer Sekunde kaputt. Wurde der Film nun in einem Projektor mit 24 Bildern pro Sekunde abgespielt, wäre das Ei in einer knappen ⅔-Sekunde bereits zerborsten. Eine Erhöhung der Geschwindigkeit um ca. 33%. Ob der Großteil der Filmeditoren damals wie heute die Bildfrequenz aus Unwissenheit, Schlampigkeit oder Ignoranz nicht einer natürlichen Bewegung angepasst hat, sei einmal dahingestellt. Fakt ist aber, dass die Filme häufig schneller abgespielt werden, als sie damals aufgenommen wurden. Das sollte jeder bedenken, der Filmquellen aus der Stummfilmzeit einsetzt und editiert.

Ich arbeite mit dem Autor und Regisseur Hermann Pölking seit zehn Jahren zusammen. Dabei haben wir eine Arbeitsweise entwickelt, die stark arbeitsteilig ist. Bei WER WAR HITLER haben Hermann Pölking, Karl Höffkes und Thorsten Pollfuß die Filmquellen recherchiert. Hermann Pölking hat sie fast vollständig vorgesichtet, in einigen Fällen wurde er dabei von Karl Höffkes unterstützt. Nach dieser Vorauswahl gelangte das Material zu mir in den Schneideraum, wo Pölking und ich seine Ideen und Intentionen besprachen oder alternative Ideen von mir erörterten. Für den Schnitt hatte ich auf über 900 Stunden gesichteten Materials Zugriff. Über 100 Stunden wurden eigens für diesen Film neu digitalisiert. Dazu kamen über 500 hochauflösende Fotografien, vor allem aus den Jahren 1890 bis 1923. Einen großen Teil der Fotografien hat Thorsten Pollfuß in amerikanischen Archiven gesichtet und kopiert. Bei WER WAR HITLER haben wir als Auswahl aus einem ersten Textbuch Sprechertexte und Zitate in einer Länge von mehr als 18 Stunden von zwölf Layout-Sprecherinnen und -sprechern aufnehmen lassen und auf zunächst 16 Kapitel verteilt. Bei etwa der Hälfte der Texte hatte Hermann Pölking schon eine Vorstellung, mit welcher Filmquelle er ein Zitat oder einen Text bebildern wurde. Er nennt das „beschießen“, ich verwende eher den entmilitarisierten Begriff des Bebilderns. Alle in der Produktion waren sich einig, dass wir den TV-Doku-Standard des reinen „Illustrierens“ in unserem Film überwinden und Raum für Assoziationen schaffen wollten. Zudem sollten die Filmsequenzen dem Rezipienten bei der Rekonstruktion der Zeit, in der Hitler lebte, helfen.

Ich sehe in dem Verhältnis Text/Bild in unserer Produktion vier Paarkonstellationen:

  • Die klassische „Illustration“: Ich sehe, was ich höre, entweder zeit- und raumgleich. Oder ein Film zeigt eine vergleichbare Situation, aber an einem anderen Ort, ggf. zu einer anderen Zeit.
  • Eine Text/Bild-Parallelität: Der Text beschreibt ein Geschehen, das Bild zeigt, was zeit- und oft raumgleich geschieht. Hier sollten die eingesetzten Filme nicht aufreizend oder visuell verschlüsselt sein und den Rezipienten in seiner Konzentration nicht überbeanspruchen.
  • Die Text/Bild-Konfrontation: Das Bild zeigt das Gegenteil von dem, was der Text berichtet, die Szene irritiert, ist aber vom Rezipienten in ihrer Botschaft gut zu entschlüsseln.
  • Ein Film als Dokument: Die ist eine Konstellation, die wir spärlich eingesetzt haben.

Fast immer haben wir dann, wenn vorhanden, den O-Ton beibehalten oder auch die Original-Schrifteinblendungen. Bei fast 80 Prozent der von uns eingesetzten Quellen handelt es sich um Amateurfilme. Die Amateure nahmen auf, was ihnen wichtig war. Das war vor allem Privates: die Kinder, Familienfeiern, das eigene Heim, Taufen, ganz selten Todesfälle, Ausflüge und Reisen, die Hobbies, das eigene Unternehmen und noch vieles mehr. Der Film wurde eingelegt, wenn Archaisches, schon damals aus der Zeit Gefallenes zu sehen war: Bauern, die mit der einzigen Kuh pflügen, enge Altstadtgassen, Menschen in Trachten. Viel weniger als man vermuten wurde, wurde Modernes wie die Lokomotive in Stromlinienverkleidung, der erste eigene Volksempfänger, das Passagierflugzeug gefilmt. Und ab und zu wurden auch politische Ereignisse aufgenommen. Diese Aufnahmen kommen bei uns aber vor allem zum Einsatz!

Wir präsentieren in WER WAR HITLER also vor allem das, was eher selten auf unseren Quellen zu sehen ist. Ausnahmen bilden die lokalen Wochenschauen, die vor allem von den örtlichen Fotogeschäftsbesitzern erstellt wurden, aber auch von den Clubs der Filmamateure. Hier wurde dann bei der Dokumentation eines Aufmarsches auch schon mal der teure Farbfilm eingesetzt, der sonst vor allem den Aufnahmen der Familie, der Blütenpracht eines Parks im Frühling und den Urlaubsreisen vorbehalten war. In unserer Auswahl reflektieren wir diese Tatsache dadurch, dass wir in den Paarkonstellationen „Text/Bild-Parallelität“ und „Text/Bild-Konfrontation“ politische und gesellschaftliche Aussagen immer wieder mit sehr privaten, scheinbar unpolitischen Alltagsbildern konfrontieren.

Mehr als 80 bis 90 Prozent der Amateurfilme wurden von ihren Machern nicht geschnitten. Sie gelangten also quasi als „Drehbänder“ in die Archive. Bei weniger als 20 Prozent lokalisieren und terminieren Schrifttafeln das Geschehen. In der Recherche mussten die Aufnahmen also, wenn von den Archivaren noch nicht geschehen, nach Ort, Zeit und Gegenstand identifiziert werden.

An Amateurfilmen reizt, dass die menschlichen Objekte häufig in die Kamera schauen. Fast immer sind die Gefilmten neugierig, manchmal sogar provozierend direkt. Professionelle Kameramänner im Dokumentarfilm versuchen, das zu vermeiden. Sie repräsentieren das Prinzip der „unsichtbaren Kamera“. So werden die Passanten gebeten, nicht stehen zu bleiben und in die Kamera zu schauen. Filmamateure dagegen sind fast immer teilnehmende Beobachter. Häufig sind sie sogar die Animateure des Geschehens. Hermann Pölking und mich faszinieren gerade diese Blicke in die Kamera, denn sie schaffen eine ganz besondere Verbindung zum Betrachter. Um die Aufmerksamkeit des Publikums auf diesen Sachverhalt zu lenken, haben wir in unsere bisherigen Dokumentationen immer wieder den Satz eingeflochten: „Über die Jahrzehnte hinweg schauen sie uns an – aus alten Filmen“. Auf diesen internen „running gag“ haben wir bei WER WAR HITLER allerdings verzichtet.

Es gab unter den Amateurfilmern einige Begabungen, viele beherrschten die Mechanik der Kameras, manche hatten sogar dramaturgische Fähigkeiten. Einige fanden ungewöhnliche Perspektiven und Einstellungen. Die Mehrheit der Amateurfilme hat aber mehr zufällig als bedacht „geknipst“ – so, wie man heute mit dem Smartphone sein Leben dokumentiert. Das hat zur Folge, dass es im Material sehr oft zu kurze Einstellungen gibt, die Einstellungen unruhig sind und Szenen nicht „aufgelöst“ werden. Das erfordert im Schnitt eine ganz andere Arbeitsweise. Der Schnittmeister ist beim Schneiden von Amateurfilmen nicht die verlängerte Hand und das zweite Auge des Kameramanns. Er meißelt sich nach den Ideen und in Absprache mit Autor und Regisseur im Steinbruch der Filmquelle seine eigene szenische Lösung. Bei WER WAR HITLER haben Hermann Pölking und ich die von ihm vorausgewählten Quellen gesichtet und „verdünnt“. Eine Filmquelle, die manchmal in der Länge von mehr als 30 Minuten einen Vorgang zeigte, kam durch gemeinsame inhaltliche Vorauswahl auf eine im Schnitt handhabbare Lange von zwei bis fünf Minuten. Diese Arbeit entspricht am ehesten der des Regisseurs einer klassischen Dokumentation. Sie ersetzt die Arbeit des Kameramanns, der in einer Reportage maßgeblich das Motiv bestimmt. Mit dieser Vorauswahl habe ich dann im Schnitt gearbeitet. Wir nennen eine Szene, in der ein Zitat oder ein Sprechertext mit einer Filmquelle unterlegt wird, ein „Icon“. Ein solches „Icon“ ist bei WER WAR HITLER zwischen 30 und 75 Sekunden lang. Die Montage erfolgt dann, in der Tradition einer zehnjährigen Zusammenarbeit, durch mich. Oft greife ich dabei noch einmal auf das gesamte Material zurück. Denn immer mal wieder gefällt dem Autor/Regisseur, aber auch mir, das Ergebnis nicht. Dann wird gemeinsam nach anderem Material gesucht.

Bei dieser Suche kann es magische Momente geben. Manchmal „vergreift“ man sich in der Masse des Materials. In der Montage kommentiert dann schon einmal ein Bild surrealistisch den Text. So hat uns beim Scrollen im Material eine Kasperle-Theater-Szene in einem Berliner Kleingarten, die auf 16 mm gedreht wurde und ungeschnitten ins Archiv gewandert ist, angesprungen. Der Amateur filmte hier vornehmlich nicht das Geschehen in der Guckkastenbuhne. Er filmte im Gegenschuss die staunenden, entsetzten und amüsierten Blicke des jungen und alten Publikums. Diese Szene kommentiert jetzt ein Zitat zu Hitlers Wahlkampf im Juli 1932.

Generell vergleiche ich die Rolle eines Amateurfilms gerne mit einem Comic, das auseinandergeschnitten und wahllos wieder zusammengeklebt wurde. Zuvor wurden alle Sprechblasen wegretuschiert (es handelt sich ja meistens um Stummfilme). Meine erste Arbeit besteht nun darin, das Material wieder an jeder Schnittstelle auseinanderzuschneiden. Dieses Puzzle aus einzelnen „Comic-Bildchen“ versuche ich in eine Reihenfolge zu bringen. Manchmal ist dies durch den Ablauf die dargestellten Ereignisse vorgegeben (aufstehen, frühstücken, zur Arbeit gehen). In anderen Fällen lassen sich die Bilder relativ frei zur gewünschten Aussage anordnen (traurig in den Spiegel schauen, Foto eines Verwandten ansehen, die Miene erhellt sich) und so dem Gefilmten bereits auf der Bildebene eine völlig neue Bedeutung geben. Bei dieser Arbeit muss aber ständig kontrolliert werden, die Würde der Dargestellten nicht durch den neuen Schnitt zu verletzen.

Wenn wir Material von professionell produzierten Filmen verwendet haben, haben wir uns bemüht, bestimmte filmische Lösungen zu zertrümmern. Wenn sie uns manipulativ erschienen, haben wir Dynamiken, Untersichten, Totalen nicht übernommen. Der vergifteten Filmsprache der Zeit wollten wir keinesfalls aufsitzen. Einige Male haben wir aber solche Filme als Zeitdokument unberührt gelassen. In kleinen Dosen schien uns das Gift von Leni Riefenstahl und der UFA- und Wochenschau-Kameramänner ungefährlich.

Von den 18 Stunden der Layout-Sprachaufnahmen haben wir 14 Stunden in einem Rough Cut geschnitten. Dann begann der Prozess der Verdichtung. Der führte uns zu einer „Master-Fassung“ von ca. 9 Stunden und 20 Minuten. An diesem Punkt haben sich Produzent und Autor entschlossen, eine „Ereignis-Fassung“ des Films zu produzieren. Sie hatten erkannt, dass die Qualität der Texte und des Bildmaterials die Lebensgeschichte Hitlers und die Zeitgeschichte Deutschlands auch über eine lange Strecke tragen wurde. Über einige Zwischenschritte sind wir dann auf eine Fassung mit drei Teilen von je 135 bis 182 Minuten gekommen. Sie gliedert sich in 17 unterschiedlich lange Kapitel. Aus dieser Fassung wurde dann eine „Kinofassung“ in 14 Kapitel zusammengestellt. Auch dies war ein intensiv von Diskussionen begleiteter Schritt, der nach Vorschlag des Autors und Regisseurs in Abstimmung mit dem Produzenten Thorsten Pollfuß erfolgte. Diese oft schmerzhaften inhaltlichen Kürzungen boten zugleich auf der Bildebene die Möglichkeit zur Optimierung. Fiel ein Zitat der Kürzung zum Opfer, wurde überprüft, ob die nun nicht mehr genutzten Bildern an anderer Stelle schwächere Bilder ersetzen konnten. So stellen die Bilder der „kurzen“ Version gewissermaßen ein „Best of“ dar.

Die Layout-Sprachaufnahmen wurden durch Martin Bomke, zuständig für die Tongestaltung, durch die finalen Aufnahmen von 118 Sprecherinnen und Sprechern ersetzt, die in Bremen, Hamburg und Berlin um die 350 Charakteren ihre Stimme liehen. Dann begann Martin Bomke meinem Schnitt durch eine naturalistische Vertonung zusätzliches Leben einzuhauchen. So manches Bilddetail wurde erst durch diesen aufwändigen Arbeitsschritt sichtbar gemacht. In der anschließenden Tonmischung von Rolf Seidelmann in Bremen haben wir großes Augenmerk daraufgelegt, dass diese Vertonung das Bild unterstützt, ohne von der Aussage des Bildes oder des Textes abzulenken.


Interview mit dem Filmhistoriker Karl Höffkes

Respekt vor filmischen Zeugnissen

Gemeinsam mit dem Produzenten Thorsten Pollfuß und Hermann Pölking sind sie auch Executive Producer der Dokumentation WER WAR HITLER. Ein Betreiber eines großen privaten Filmarchivs für historische Dokumentationen im deutschsprachigen Bereich beteiligt sich an einer Kino-Dokumentation. Warum glauben Sie an den Erfolg des Films?

Seit Jahren beliefere ich in Europa, Nordamerika und Fernost TV- und Filmproduktionen mit Archivfilmen für ihre Produktionen zum Thema Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg, Adolf Hitler und zu anderen Nazi-Größen. Ganz offensichtlich interessiert das Thema nach wie vor weltweit.

Ist das nicht ein beunruhigendes Interesse? Woher rührt diese weit verbreitete Hitler-Faszination? Ist sie gleichzusetzen mit einer allgemeinen „Faszination des Bösen“?

Inwiefern? Die viel zitierte „Faszination des Bösen“ entpuppt sich bei genauerem Hinsehen doch recht schnell als eine oberflächliche Einordnung eines komplexen Phänomens – etwas zugespitzt als „Geschichte auf Sex and Crime-Niveau“. Das entspricht nicht meiner Herangehensweise.

Aus meiner Sicht kann das Interesse für die NS-Zeit nicht beunruhigend sein, wenn es zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit geschichtlichen Vorgängen führt. Leider wird diese Auseinandersetzung noch immer zu reflexhaft geführt: leere Formeln sind am langen Ende aber nur Ausdruck eines oberflächlichen Geschichtsbewusstseins. Leider wird auch das wissenschaftlich ausgerichtete „Mehr wissen zu wollen“ noch immer zu einem „Verständnis haben“ umgedeutet. Das hat für mich ein tagespolitisches Geschmäckle und ist wenig hilfreich. Machen wir es kurz: um mehr zu wissen, muss zunächst einmal historisches Material gesammelt werden: an diesem Punkt komme ich ins Spiel.

Mit Ausnahme des Vietnam-Krieges wurde meines Erachtens kein Ereignis der Zeitgeschichte so intensiv im bewegten Bild dokumentiert wie der Aufstieg Mussolinis und Hitlers, ihre Machtentfaltung und der Zweite Weltkrieg. Durch meine Sammelleidenschaft habe ich dazu beitragen können, dass wir die Bilder haben, um diesen Teil der Geschichte in fast all ihren Facetten zu erzählen. Die Bestände Archivs ermöglichte der Produktion WER WAR HITLER eine gewisse Alleinstellung.

Wenn man die einschlägigen TV-Dokumentationen betrachtet, hat man das Gefühl, die meisten dieser Facetten bereits gesehen zu haben.

TV-Sender, die ihr Publikum kennen und die wissen, dass Fernsehen oft nur ein „Nebenbei-Medium“ ist, setzen in der Tat immer wieder die gleichen Bilder und die gleiche Dramaturgie ein. Ein kurzer Blick auf den Bildschirm, und der Zuschauer weiß, welcher Teil der Geschichte erzählt wird. Zudem wird gerne auf „public domain“-Material aus US-Archiven zurückgegriffen, das nach dortiger Rechtsauffassung „frei von Urheberrechten“ ist. Die Produzenten setzen auch deshalb die immer gleichen Bilder ein, weil sie hierfür keine Rechtezahlungen leisten müssen.

Bei Wer war Hitler findet man diese Bilder nicht?

Kaum. Ich habe mehr als 25 Jahre meines Lebens in die Aufgabe investiert, private Bilder zu finden, die der Alltagswirklichkeit der Zeitgenossen entsprachen und nicht der offiziösen, propagandistisch gefärbten Reportage-Ästhetik der NS-Wochenschauen. In meinem Archiv finden sich inzwischen mehr als 8.000 Filme der Jahre 1899 bis 1950, über 80 Prozent davon sind Aufnahmen von filmenden Amateuren. Aus diesem Materialfundus speist sich Wer war Hitler genauso wie vorher die Dokumentation „Der Anständige“ der israelischen Filmemacherin Vanessa Lapa über Heinrich Himmler.

Ich denke, etwa 60% der verwendeten Aufnahmen stammen aus meinem Archiv, das Hermann Pölking im Übrigen sehr gut kennt. Trotzdem haben wir bei unseren Sichtungen interessante Filmquellen entdeckt, die wir bisher übersehen, vielleicht sogar schon vergessen hatten! Wir hatten darüber hinaus aber auch den Anspruch, alle relevanten historischen Materialien zu finden, die zum Thema Adolf Hitler in mitteleuropäischen Archiven verfügbar sind. Deshalb haben wir gemeinsam mit Thorsten Pollfuß in über 110 Archiven in Deutschland, Europa, Nordamerika und Neuseeland gesucht. Mit einigen dieser Archive verbindet uns eine engere Zusammenarbeit, darunter das Landesfilmarchiv Baden-Württemberg, das Archiv von Spiegel TV, Chronos TV und das Archiv von Ernst Hirsch in Dresden. Hier hatten wir zu fairen Konditionen fast unbeschränkten Zugriff. Unterm Strich haben wir eine der umfangreichsten Filmrecherche betrieben, die je für eine deutsche TV- oder Kino-Dokumentation betrieben wurde, und dabei Ansichtskopien von ca. 850 Stunden Film zusammengetragen. Mindestens 100 Stunden 8mm-, 9,5mm-Pathé-, 16mm- oder 35mm-Filme wurden neu in HD, 2k und 2,3k abgetastet.

Welche bislang ungezeigten Aufnahmen werden in Wer war Hitler zu sehen sein?

Ich würde sagen, ca. 35 bis 40 Prozent der Aufnahmen werden erstmals in einer Film- oder TV-Dokumentation gezeigt. Neben den oftmals unspektakulären Alltagsszenen setzen wir auch etliche Aufnahmen von Adolf Hitler, die bisher niemand gesehen hat, ein. Noch im Dezember 2016 habe ich frühe Hitler-Aufnahmen erworben, die in den Film eingefügt wurden. Bis zuletzt wurden auch Schwarz/Weiß-Sequenzen durch neu aufgetauchte Farbaufnahmen ersetzt.

Was muss redaktionsseitig geleistet werden, damit diese historischen Bilder aufklärerisch wirken und nicht, im Gegenteil, verklärend?

Diese Frage sollte besser denjenigen gestellt werden, die mit diesen Bildern Geschichte erzählen wollen. Es war immer meine Auffassung, dass die Verantwortung für den ethischen Umgang mit den Bildern nicht bei mir als Archivar und Lizenzgeber, sondern bei den jeweiligen Autoren liegt. Meinen Part bei diesem Projekt sehe ich in erster Linie in der Materialbeschaffung. Wann immer ich in die inhaltliche Umsetzung eingebunden werde, nehme ich natürlich Stellung. Wenn ich selber als Autor und Dokumentarfilmmacher arbeite, lege ich immer Wert darauf, den Bildern den nötigen Raum zu geben, aber zugleich ihren Kontext kenntlich zu machen und auf ihre Lückenhaftigkeit hinzuweisen.

Sie haben bereits deutlich gemacht, dass es einen Markt für Zeitgeschichte gibt, den auch ihr Hitler-Film bedient. Verbindet sich mit der Herstellung eines solchen Films in unserer Gegenwart auch eine politische Verantwortung?

Eine interessante Frage. In der Tat werden aktuell zahlreiche Bezüge zur Vergangenheit hergestellt. Das verwundert nicht, denn Geschichte ist einerseits immer politisch. Andererseits ist Geschichte auch von Mythen durchsetzt, die den Blick auf die komplexe Wirklichkeit verstellen können. Um dem vorzubeugen, ist nicht nur die Auseinandersetzung mit historischen Tatsachen wichtig, sondern auch mit Mythen, wie eben dem Mythos „Adolf Hitler“. Indem wir unsere kritische Reflexion über diesen Mythos und die Person dahinter ins Kino bringen, leisten wir vielleicht auch einen Beitrag zur aktuellen Diskussion um populistische Kräfte in Europa und fremdenfeindliche Strömungen in den europäischen Gesellschaften.

Wie viel „Hitler“ steckt denn in den von Ihnen angesprochenen Gegenwartserscheinungen? Und was für Antworten kann der Zuschauer im Film finden?

Hier rate ich zur Vorsicht: es erscheint mir unmöglich, aus der Geschichte 1:1 Antworten für die Gegenwart abzuleiten. Geschichte unter tagespolitischen Gesichtspunkten als Projektionsfläche zu verwenden, um damit die Gegenwart zu erklären, führt schnell zu schiefen Vergleichen. Andererseits glaube ich, dass ein Film die Wirkungsmacht charismatischer Einzelpersönlichkeiten deutlich machen kann - im Positiven wie im Negativen.

Die aktuell viel diskutierte Frage, ob der angeblich oder tatsächlich vorhandene Wunsch nach Führerfiguren eine Konstante in politisch bewegten Phasen der Geschichte bildet, würde ich gerne an den Zuschauer weitergeben: Kann er sich vorstellen, sich in bestimmten Situationen einer Führerfigur auszuliefern? In der Tat könnte der Film in dieser Hinsicht zum Nachdenken anregen und einen Beitrag zu dieser Debatte leisten.

Abschließend: Wer war Hitler?

Schauen Sie sich den Film von Hermann Pölking an – danach sind Sie schlauer.


Der Komponist Julius Holtz über die Filmmusik

Wie für einen Regisseur komponieren, der keine Musik im Film mag?

Ich weiß aus den Gesprächen zu Beginn unserer Zusammenarbeit: Der Autor und Regisseur Hermann Pölking mag schon seit einigen Jahren keine Musik mehr in Filmen. Warum kam er überhaupt auf mich zu?

Pölking sagte mir in unseren Gesprächen stets, er suche für WER WAR HITLER mehr nach einer bedeutungsvollen Klangwelt als nach einem Soundtrack im herkömmlichen Sinne. Er unterstellt der Filmmusik, häufig so etwas wie die Schmierseife für schlecht erzählte Geschichten und stoppelige Gefühle zu sein, eine Ablenkung der Hirne durch die Herzen. In Dokumentarfilmen wirft er Regisseuren vor, die permanent dröhnend Musik einsetzen, um handwerkliche Mängel vertuschen zu wollen, ein Misstrauen gegen die natürliche Klangwelt zu haben oder schlicht zu faul zu sein, eine Welt aus Geräuschen zu schaffen, die keine gefällige musikalische Struktur hat. Deshalb haben wir bei unserer Zusammenarbeit schon früh gar nicht über Musik gesprochen. Wir waren uns einig, dass „Klang“ den Film bereichern sollte.

Pölking wusste: Ich arbeite als Komponist sowohl mit traditionellen Instrumenten als auch Klangobjekten und schöpfe während des Komponierens die Mittel digitaler und analoger Signal- und Medienverarbeitung aus. Durch meine Arbeit an der Schnittstelle zur Bildenden Kunst verfolge ich während des Komponierens auch konzeptuelle Ansätze. In meiner Arbeit als Klangkünstler zersplittere ich mit hybriden Remix-Techniken tonale Fundstücke und eigene musikalische Einspielungen, rekontextualisiere sie – bette sie in einen neuen Klangkontext ein, verändere das Tempo, sample Beats und collagiere Tönendes.

Aufgrund Pölkings Aussage, er suche für WER WAR HITLER mehr nach einer Klangwelt als nach einem Soundtrack im herkömmlichen Sinne, beschäftigten wir uns intensiv mit der Bedeutungsebene von Musik im Film. Ich fragte mich: Wie könnte der Charakter Hitlers klingen? Könnte ich eine irrationale politische Ideologie in Klang und Musik übersetzen? Hermann Pölking kam in unseren Gesprächen immer wieder auf das Manifest „Dogme 95“ zurück. So wie diese Gruppe wolle er mit Musik arbeiten. Im Jahr 1995 hatten die dänischen Regisseure Lars von Trier, Thomas Vinterberg, Søren Kragh-Jacobsen und Kristian Levringnein der europäischen Kinowelt ein provokantes Manifest um die Ohren gehauen, das eine interessante Musikregel hat. „Dogme 95“ schreibt den Regisseuren vor, nur mit Musik im Film zu arbeiten, wenn sie nicht nachträglich eingespielt wurde. Sie muss also in der Szene vorkommen, am Set gespielt werden, aus dem Radio klingen oder von der Straße aus hochschallen. Sie soll Teil einer „natürlich“-unharmonischen Klangwelt sein.

Als ich die erste Folge der ersten Schnittfassung von „Wer war Hitler“ gesehen habe, war mit klar, warum Hermann Pölking einer der letzten Jünger von „Dogma 95“ ist. In einer anderen Keuschheitsregel des filmischen Manifests haben Lars von Trier & Co. zur reinen Lehre erhoben, dass in „Dogma 95“-Filmen nur die Handkamera eingesetzt werden darf. Und die Amateurfilme, die in WER WAR HITLER vorherrschen, haben diese wackelige Ästhetik des spontan Reagierenden.

In nicht wenigen Szenen von WER WAR HITLER kommt „Musik“, z.B. von Militärkapellen, optisch vor, aber natürlich nicht akustisch im Original, da es sich um tonlose Nitro- und Zelluloid-Filmdokumente der Stummfilmzeit oder den Jahren 1930 bis 1945 handelt. Die Musik wurde in WER WAR HITLER vom Sounddesigner Martin Bomke mit Fleiß in kritischer Rekonstruktion der Welt aus Geräuschen der Vertonung beigemengt. Viel Alltagslärm verhindert, dass es im Film zu harmonisch wird. Zudem wird diese „O-Ton-Musik“ im Schnitt von WER WAR HITLER zersplittert. Jeder Filmschnitt schneidet auch in den Fluss der O-Ton-Musik ein. Wenn die Kamera aus ist, spielt auch die Musik nicht weiter. Hier intervenierte ich vereinzelt und transformierte einige Szenen. So entstand eine Bearbeitung von Mahlers 5. Symphonie, eine Fassung für einen Klavierauszug, das ich in Vierteltöne zerlegte, streckenweise dessen Tempo änderte und im Kontext der Filmszene wieder neu zusammensetzte.

Der Großteil des Klangs jedoch, den ich zu WER WAR HITLER beisteuere, steht außer Konkurrenz zu der „Athmo“-Musik in diesem Film – Musiken, die in den Jahren zwischen 1903 und 1943 an den Drehorten vorkamen. Es sind neben Märschen einige Takte von Beethoven-Sinfonien, die sanft wiegenden Weisen von Kurorchestern, die „moderne deutsche Tanzmusik“ der frühen Nazi-Jahre, kratzige Schellackplatten-Musik und die Fanfaren der Wochenschau.

Meine „Musik“ zu WER WAR HITLER kommt in dem meisten Fällen nicht gefällig daher. Sie eckt an, versucht sich einzuhaken in das Geschehen. Sie entfaltet unter der Oberfläche eine oder mehrere Bedeutungsebenen. So versuchte ich, das Falsche in Hitlers Theorien, z.B. in Bezug auf die Rassenlehre, hinein zu komponieren.

Zu Hitlers Zeit gab es neue und bahnbrechende Erkenntnisse der Archäologie, welche er und seine Denkrichtung falsch interpretierten. Er überführte die fehlinterpretierten neuen Erkenntnisse der Wissenschaft in eine pseudowissenschaftlich „Rassenlehre“.

Auf Hörgewohnheiten aufbauende musikalische Erwartungen ließ ich in meiner Komposition ins Leere laufen. Ich führte bei einem Motiv musikalische Erwartungshaltungen ad absurdum. Dass dies funktionierte, wurde mir während der Aufnahme des Soundtracks im Tonstudio klar. Ich fragte den Klarinettisten vor der Aufnahme, ob er Fragen zu seinem Part hätte. Er sagte: “No. But it doesn`t make sense”. Ich antwortete: “Exactly, it`s is not supposed to make sense!”

Meine Klangwelt ist ein Teil eines schwankenden Filmbodens. Sie verunsichert, dekonstruiert, ein Wort, das im Produktionsprozess von WER WAR HITLER oft fiel. Sie enthält Elemente „Neuer Musik“ im Sinne einer heutigen atonalen seriellen Musik, aber auch Anleihen der Minimalmusik, die gerne repetitive Strukturen verwendet und daher, im Gegensatz zur „Neuen Musik“, häufiger zur Filmvertonung herangezogen wird. Ein wenig aus diesem spröden, puristischen Rahmen fällt die Komposition, die ich dem Charakter Churchills widmete. Sie verweist auf den Stil der orchestral-romantischen Hollywood-Kompositionen. Hermann Pölking suchte nach etwas „Heroischem“, das aber schon quasi sich selbst zuzwinkert. Es sollte also dick aufgetragen werde. Diesem Wunsch bin ich nachgekommen. Der Klang des Orchesters hebt jetzt im Soundtrack so deutlich den Zeigefinger, wie Hermann Pölking es nur dieses eine Mal wollte. Das ist Churchill-Verehrung.